Von Vielaugen und müden Kriegern
Angeregt durch Ganzkörperfotogramme bekannter Künstler wie Neusüss oder Rauschenberg und die Körper-Farbabdrucke eines Ives Klein, öffnet die Arbeit Körperspuren eine neuartige ästhetische Qualität der Darstellung des Körpers als sich selbst abbildendes Medium. In einem experimentellen Prozeß werden mit lichtempfindlichen Materialien und dem Prinzip des Abdrückens und Abrollens von Körperformen ganz direkt Abbilder männlicher und weiblicher Figuren geschaffen.
Körperspuren zeigt eine vielgestaltige Reihe lebensgroßer menschlicher Porträts und Ganzkörper. Mit einer eigenwilligen Ästhetik reduzierter Formen lassen diese Körperbilder vielfältige Assoziationen zu zeitlosen Themen, Ureigenschaften und Symboliken von Menschen zu. Die extrem kraftvollen Formen der Körper verleihen den Figuren nahezu archaische Charaktere. Männliche und weibliche Attribute treten hervor. Gesichter werden schemenhaft. Alles Individuelle der konkreten Persönlichkeit tritt zurück. Allgemein und formal Prägnantes erhält Gewicht. Durch regelrechte Abwicklungen der Körper entstehen auf der zweidimensionalen Ebene des Fotopapiers dreidimensionale Abbilder, befinden sich mehrere Ansichten eines Körper auf einem Blatt. Vervielfachungen oder Reduktionen der Körperformen ergeben neue Sinnzusammenhänge. Im Zusammenwirken chemischer Prozesse stehen sich feinste detailgenaue Strukturen von Haaren oder Haut und abstrakte grafische Spuren der Fotochemikalien, hervorgerufen durch Zeit- und Lichteinfluß, gegenüber.
Die Größendimensionen und Eigenschaften des fotografischen Experiments machen die Arbeit zu einem Erlebnis von Dominanz und Entdeckung des subtilen Details zugleich. Die Gestalten, die entstanden sind, scheinen lebendig und doch nicht wirklich. Sie sind grotesk und eindeutig, brutal und sensibel, erotisch und abschreckend oder beides. Wir haben manchen von ihnen Namen gegeben. Aber ihre Geschichten können auch andere sein…
Die Erfindung des “Niveagramms”
Das fotografische Verfahren beruht auf der Wirkungsweise des Fotopapierentwicklers in Verbindung mit Fett und ist im Prinzip bekannt. In Ilfords fotopädagogischen Materialien drücken beispielsweise Kinder ihre eingecremten Hände auf Fotopapier ab, um daran zu lernen, wie Entwickler und Fixierer wirken. Der versehentliche Fingerabdruck auf dem Fotopapier, den man im Labor eigentlich vermeidet, wurde von uns quasi zum Gestaltungsmittel erklärt, das Verfahren zu professioneller Anwendung geführt. Experimentell dabei ist, daß die Resultate nie ganz vorhersehbar sind, daß das Zusammenspiel der Materialien und chemischen Prozesse erst sehr genau erprobt und verfeinert werden will, und daß trotz ähnlicher Bedingungen immer wieder ganz andere Formen und Strukturen entstehen können. Der Zustand des Fotopapiers, Zeit- und Lichtbedingungen während des gesamten Arbeitsprozesses, die Konzentrationen der Chemikalien, die Dicke des Fettfilms und mögliche Unterspülungen beim Bewegen des Fotopapiers im Entwickler waren dabei nur einige Komponenten. Das Experiment dennoch zu gestalten, ist die größte Herausforderung gewesen und relativ genaue Vorstellungen über die mögliche Gestalt der Figur die wichtigste Vorbereitung. Denn welche Formen beim Abdrücken des Körpers wirklich entstehen, ist ungewiß, der Fettfilm auf dem Papier zunächst unsichtbar und allzuviele Fehlversuche unbezahlbar. Alle Bewegungsabläufe vom Hinlegen über das Abrollen bis zum Aufstehen mussten regelrecht einstudiert werden. Körpergefühl, Sensibilität für die eigene Bewegung, Konzeption und Konzentration waren wesentlicher Teil eines künstlerischen Prozesses, dem eine teils sehr schwierige Verarbeitung, nämlich die vorsichtige Entwicklung und Fixierung meterlanger Fotobahnen im Bad einer kleinen Mainzer Wohnung, folgte.
Körperspuren ist ein spannendes Gemisch aus überlegter Gestaltung und Experiment, Konzeption und Spontanität, körperlicher Selbsterfahrung und grafischer Entdeckung des eigenen Körpers als eine Art Werkzeug, der wie ein Bleistift die ein oder andere spezifische Struktur erzeugen kann, um dann an seine Grenzen zu gelangen.
(Text: Angela Sabo)
Formate
10 Ganzkörperabwicklungen/ Hochformat 1,05m x 2,20m
3 Ganzkörperabwicklungen/ Querformat 2,20m x 1,05m
Quadratreihe aus 8 Arbeiten/ je 1,05m x 1,14m
Porträtreihe aus 24 Arbeiten/ je 24cm x 30cm und 5 Arbeiten je 24cm x 60cm
3 Arbeiten auf Plexiglas je 50cm x 60cm, die frei im Raum gehängt werden